This is the end… - oder Das Ende der Geduld
(The End - The Doors, 1967)
Das ist das Ende. Jetzt geht alles den Bach runter. Großer Schöpfer, was soll ich bloß tun?
Sollte wirklich alles umsonst gewesen sein? Sollten wir wirklich alles verlieren? War es denn nicht schon schlimm genug, dass mir meine Kinder genommen wurden? Mussten wir nun auch noch unsere Lebensgrundlagen verlieren? Alles ist gefährdet.
Gut acht Jahre haben wir nun unsere begrenzten Mittel in ein Haus investiert. Endlich war alles fertig und es hätte nun ganz entspannt weitergehen können. Aber nein – alles geht den Bach runter. Ich kann den innerlichen Reichsparteitag von Erika förmlich spüren. Sie hatte ja schon immer betont: „Ich mache dich fertig!“. Die Leser werden sich nun möglicherweise fragen „Warum jammert Nikolaus denn so? Dann setzt man sich eben kleiner, mietet eine kleine Wohnung und tut das was jeder arbeitslose tut. Nämlich Bewerbungen schreiben. Außerdem hat unsere Arbeitsministerin ja verkündet, dass ältere Arbeitslose nun viel bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.“.
Ja, das ist ein guter Ansatz. Leider sieht die Realität ganz anders aus. Andrea hat mit ihrer Doppelausbildung rund 280 Absagen erhalten und ich selbst bin Spezialist auf dem Gebiet der Wasseraufbereitung und durch meine fünfundachtzigjährige Mutter räumlich gebunden. Es gibt in diesem Sektor leider nicht so viele Stellen, also habe ich mich auch branchenfremd beworben. Bei einer Firma aus dem Bereich Drucker und Kopierer hatte ich dann auch endlich mal ein Vorstellungsgespräch.
Im Rahmen des Bewerbungsgesprächs wurde mir ein maximales Jahresbruttogehalt von 38.000,- Euro mit einer 40/60-Regelung angeboten. Das entspricht einem Monats brutto von 3.166,- Euro was wiederum rund 1.700 Euro netto entspricht und somit unter dem ALG liegt. Wichtig ist hier aber der Verweis auf die 40/60-Regelung. Das heißt, 40 Prozent Grundsicherung und 60 Prozent Provision. Im Fall von Urlaub oder Krankheit (3 Wochen) blieben allerdings nur die 40 Prozent Grundsicherung. Also verbleibt ein Nettolohn von nur 975,- Euro. Die Firma war nicht bereit eine andere Regelung als die 40/60 Vorgabe in Betracht zu ziehen. Daher kam das Arbeitsverhältnis nicht zu Stande.
Bei anderen Firmen gab es entweder Absagen oder gar keine Rückmeldungen. Wenn dann mal ein Gespräch zu Stande kam, hieß es: „Das ist ein Problem der Altersstruktur“, „Wir suchen einen Hunter und keinen Farmer für den Vertrieb“ oder „Keiner unserer sonstigen Außendienstmitarbeiter verfügt über ihre Qualifikation – Sie sind für diese Stelle überqualifiziert“. Bei einem Gespräch in dem mir meine Überqualifikation „vorgeworfen“ wurde, habe ich gesagt: „Überqualifiziert? Ich denke es gibt einen Fachkräftemangel in Deutschland und die Arbeitnehmer müssen jetzt in Ost-Europa angeworben werden? Aber wenn es ihnen hilft, kann ich mich gerne künstlich dumm stellen“.
Wenn man ständig einen solchen Mist hört, verliert man auch mal die Fassung. Unglaublich was auf dem Arbeitsmarkt los ist. Mir war zu diesem Zeitpunkt auch nicht bewusst, dass man als Arbeitsloser der ja einunddreißig Jahre opulent in alle Sozialkassen eingezahlt hat, nach zwölf Monaten behandelt wird, wie jemand der in diesem unserem Lande noch nie eine Schüppe in der Hand hatte. Auch war mir nicht bewusst, dass manche Arbeitgeber sehr empfindlich, selbst auf kleinste Lücken, im Lebenslauf reagieren. Das musste ich nun auch noch berücksichtigen. Denn mit jedem Tag der Arbeitslosigkeit werden diese Lücken größer.
Natürlich hatte ich aus meiner langen beruflichen Tätigkeit auch viele Kontakte. Ebenfalls habe ich weitere Kontakte in sozialen Netzwerken die ich ansprechen konnte. Also habe ich über Tage Telefonakquise betrieben und auch über Facebook und Xing (Crossing) versucht etwas zu erreichen. Das einzige was mir einige meiner ehemaligen Kunden sagten war: „Mach Dich doch selbstständig. Gute Beratung wird immer benötigt“. Das war eine gute Idee, dachte ich. Warum nicht? Außerdem habe ich dann auch keine Lücke im Lebenslauf.
Doch nun kam das nächste Problem. Wie sollte es auch anders sein? Der Unterhalt für meine Kinder wurde in der alten Höhe angefordert. Also in der Höhe in der er gezahlt wurde als ich noch Arbeit hatte. Naja – Kann ja kein Problem sein, denn ich habe ja nur das Arbeitslosengeld. Doch es war ein Problem, denn sie deutsche Rechtsprechung verlangt von dem Unterhaltspflichtigen, die Zahlungen über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten in der alten Höhe weiterzuzahlen.
Das sind ja auch „nur“ fünfzig Prozent meines Arbeitslosengeldes. Wovon ich die Bankverpflichtungen decken soll, oder wo mein Essen herkommt, interessiert niemanden.
Es waren sehr harte drei Monate die mir einen Vorgeschmack auf Hartz IV (ALG II) geben sollten. Horror pur – und das nach einunddreißig Jahren Arbeit und ohne dass ich jemals eine Leistung in Anspruch genommen hätte.
Ich habe dann mal heimlich (und an Andrea vorbei) versucht eine Wohnung zu Mieten. Normalerweise haben wir keine Geheimnisse voreinander und gehen sehr ehrlich miteinander um, aber ich hatte da ja schon eine Befürchtung die sich bestätigen sollte.
Neben der Tatsache, dass uns beiden ja nun Hartz IV drohte, haben wir ja auch noch zwei wachsame große Hunde aus dem Tierschutz. Mal sehen was die potentiellen Vermieter dazu sagen.
Die Details will ich dem Leser an der Stelle ersparen. Nur so viel: „Wer vermietet denn schon an ein unverheiratetes Paar mit Hartz IV und zwei großen Hunden?“ Aber um auch hier ganz ehrlich zu sein, ich würde genauso handeln.
Also ging es plötzlich nicht mehr nur um meine Kinder, sondern auch um unsere Zukunft, die Zukunft unserer Hunde, unsere gesamte Lebensplanung und darum, dass sich unsere alten Eltern nicht noch mehr Sorgen machen müssen.
Meine Geduld war am Ende und ich musste handeln!
Aber wie das dann immer so ist – man macht sich so seine Gedanken ob die Kinder, oder in diesem Fall meine Tochter Lisa, etwas dafür können. Also habe ich Lisa angerufen und gefragt, warum sie mir ohne Vorwarnung den Gerichtsvollzieher in die Firma schickt. Die Antworten waren schockierend. Zitat: „Die Zeit des Redens ist vorbei, ich habe alles Mama übergeben, du hast ja sowieso kein Interesse an meinem Leben und du willst ja auch keinen Kontakt“.
Hatte ich da was falsch verstanden? Wie konnte das sein? Schließlich sind über neunzig Prozent der Kontaktaufnahmen von mir ausgegangen und auch die kleinen Erfolge der letzten Monate gingen auf meine Initiative zurück. Die verbleibenden zehn Prozent gingen von meiner Tochter Lisa aus. Aber uneigennützig war das wohl nicht, wenn es immer nur darum ging, dass Geld für einen Urlaub mit Freunden fehlt, das Geld für die Abi-Feier vorgestreckt werden muss oder dass der Computer oder der Drucker nicht mehr funktionieren.
Muss ich als Vater etwa toll finden nur auf Geld und persönlichen Vorteil reduziert zu werden? Außerdem kamen mir die Vorwürfe sehr bekannt vor. Ich hörte Erika reden…
Da war mir klar, dass ich mich nach elf Jahren endlich wehren muss. Auch wenn das bedeutet, dass ich nun das tun muss, was ich jahrelang vermieden habe. Die Kinder zu verklagen!
Das war eine der schwersten Entscheidungen die ich je treffen musste. Wurde ich bislang fünfmal von meinen Kindern verklagt, dann wusste ich trotz allen Schmerzes, dass meine Ex-Frau dahinter steckt.
Aber nun war das „Kind“ neunzehn Jahre alt und sollte im laufenden Jahr Zwanzig werden. Alt genug um Ursache und Wirkung zu erkennen und auch alt genug um die Konsequenzen kennen zu müssen.
Wieder einmal mehr ein Fall für die Anwälte und das Gericht. Scheiß Spiel! Denn das habe ich nie gewollt, aber ich musste nun auch mal an mich denken. Ich habe dann auf Abänderung der Unterhalsurkunde geklagt. Ich wollte nicht länger erpressbar sein und damit rechnen müssen, dass bei einem neuen Arbeitsplatz plötzlich wieder der Gerichtsvollzieher auftaucht.
Jeder der schon in einer ähnlichen Situation war weiß, dass dem der übliche Schriftverkehr folgt. Gespickt mit Unwahrheiten, Vorwürfen, Anschuldigungen, Anfeindungen und dem Versuch das Gericht bewusst zu täuschen indem man Dinge behauptet, von denen die gegnerische Anwältin genau weiß, dass sie nicht wahr sind und das sich das auch beweisen lässt.
Typischer Weise bekommt man solche Post immer am Freitagabend und ist nun gezwungen untätig sein zu müssen da man am Wochenende ja nicht reagieren kann. Kurzum – Das Wochenende ist einmal mehr versaut!
Anwälte müssen Geld verdienen, und sie können dies nur tun, indem sie ihren Klienten glaubhaft machen, dass eine gerade Linie krumm ist.
Alfred Nobel, (1833 - 1896)